Der Steinberger aus Unteremmendorf

 


 

Das Doppelschneiders Kleinod war eine schwersilberne Tabakdose, deren Inhalt er mit Eifer und sichtlichem Genuss zusprach. Heute befand er sich in der gegebenen Gesellschaft. Denn drei weitere Erzschnupfer schienen in seiner Nähe eine Art Kolloquium abzuhalten. Der Plank Sepp von Plankstetten pries die Würze seines Brasils, der Wolf von Neuzell schwor auf die Güte seines Parisers, während der hagere Steinberger von Unteremmendorf die Vorzüge seines Schmalzlers über den Schellnkönig lobte.

Dieser baumlange Asket mit dem knochigen Gesicht und der ausgeprägten Nase reichte bereitwillig seine ovale Dose mit dem lederbeschlauften Deckel solange herum, bis einer von den Kostgängern inmitten der öligen, braunen Labsal mit den Fingern einen kleinen, harten Gegenstand aufspürte. Dann war Steinbergers Stunde gekommen. "Gebt mir ja auf meine Bohne Obacht!" rief er dann mit gut gespielter Besorgnis. Dann erklärte er denen, die es etwa noch nicht wussten, das kostbare Ding schütze vor Unheil und bringe Reichtum und Erfolg bei allen Unternehmungen. Nach seinen Worten war also die Rarität Amulett und Talisman in einem. Allerdings war von den magischen Kräften bislang nichts wahrzunehmen, denn der Steinberger führte als einer der letzten Weber der Gegend nach wie vor ein bescheidenes Dasein. Wer weiß, vielleicht mache er einen Fehler in der Art und Weise, wie man den Glücksbringer mit sich zu tragen hatte!

Diese Vermutung machte sich der Bahnkondukteur Voggenreiter zu eigen, indem er unter dem Gelächter der übrigen Grünröcke dem Steinberger den Rat gab, den Fetisch statt in der linken, künftig in der rechten Hosentasche zu tragen. Das sagte auch er mit unbewegter Miene, so dass man letztlich kaum mehr zu unterscheiden vermochte, wer wen nun narren wollte. Den Steinberger schien das nicht zu beeindrucken, denn er begann mit todernstem Gesicht wieder einmal die wundersame Mär zu erzählen, wie er in den Besitz dieser Kostbarkeit gekommen ist: Ein Missionar und naher Verwandter habe sie ihm aus einem fernen Lande mitgebracht. Da die einzigen existierende Staude, die diese seltene Frucht trägt, nur etwa alle zehn Jahre und dann auch nur eine einzige Bohne hervorbringt, sei sie wegen ihrer Seltenheit und Zauberkraft dem Fürsten des Landes vorbehalten, der ihren Diebstahl mit dem Tode bestrafe; so sei auch sein Vetter mit knapper Not an der Grenze noch den Häschern entgangen und könne nie mehr dorthin zurückkehren. Wollte einer mehr erfahren über dieses Land, ließ sich der Steinberger nicht an das Gitterwerk von Längen- und Breitengraden drängen. Er berief sich auf den daheim liegenden "Sulzbacher Kalender" und beschränkte sich auf die wohl mehr als verschwommene Auskunft: "Wennst übers Meer ankommst, liegt´s glei rechter Hand".

Es ginge aber auch die Rede, der Steinberger spreche in seiner Erzählung einmal von Indien, dann wieder von Amerika, Mexiko und China, gelegentlich verirre er sich auch nach Grönland und Australien. Bei soviel Anspruch auf geographischen Spielraum war daher auch die Vermutung einiger nicht allzu gewagt, das mysteriöse Ding sei nichts anderes als ein gewöhnliche Buschbohne. Einer von den Tischgenossen machte sich die für Rebsorten üblichen Benennungen des Anbaugebietes und der Lage zu eigen und legte sich schlechtweg und sarkastisch fest auf die Bezeichnung: "Kleine Weiße, Wachstum Altmühltal, Steinbergers Juragarten". Der Raritätenbesitzer gab sich aber merkwürdigerweise keineswegs ertappt oder gekränkt, mit einer verächtlich abwertenden Handbewegung gab er lediglich zu verstehen, dass er sich über eine weitere Auseinandersetzung erhaben fühle.

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"Der Brandl Hans aus Beilngries"