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1. Schneidermeister Schneider - genannt "Der Doppelschneider" - aus Beilngries Die Runden an den einzelnen Tischen der Gaststube füllten sich zusehends, besonders aber die beim raumbeherrschenden Ofen mit dem gekachelten Sockel und mit dem Aufbau aus gusseisernen Reliefplatten, deren eine das Bild mit Rössern pflügenden Bauern, die andere aber das Porträt des Bayernkönigs Ludwig des Zweiten zeigte. Man begrüßte sich als Jäger zwar mit "Waidmannsheil!", bediente sich aber nicht minder des unter Bekannten üblichen und vertrauteren "Gröiß di God!", Mittendrin saß der Schneidermeister Schneider aus Beilngries. Mit seinem Schwergewicht, seiner Behäbigkeit und seiner betont langsamen Sprechweise war er alles andere als das, worunter man sich gewöhnlich einen Schneider vorstellte. Weil es in Beilngries mehrere Schneidermeister, aber auch viele Familien namens Schneider gab, hatte ihn der Volksmund zwecks einwandfreier Identifizierung zu dem Zweitnamen "der Doppelschneider" verholfen. Es ist schwer zu sagen, ob bei dieser Widertaufe das Gewicht des Namensträgers maßgebend war, oder die Übereinstimmung seines Schreibnamens mit der Bezeichnung seines Handwerks. In beiden Fällen hat man den Nagel auf den Kopf getroffen und gezeigt, wie man zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen kann. Nach seinem Leitspruch hatte der Tag mit einem kräftigen Frühstück zu beginnen. Seine äußere Erscheinung ließ aber den Schluss zu, dass dieser Anforderung auch die übrigen Mahlzeiten zu entsprechen hatten. Man konnte es sich kaum verstellen, dass sich dieser Dicke als junger Soldat bei den Schutztruppen in Deutsch-Südwestafrika um die Jahrhundertwende mit Hereros und Hottentotten hatte herumschlagen müssen. Das wäre schier in Vergessenheit geraten, hätte es nach dem 1. Weltkrieg nicht die vielen patriotischen Feiern mit dem den Deutschen noch verbliebenen Abglanz militärischen Gepränges gegeben. Denn da und dort wurde ein Kriegerdenkmal errichtet, in Paulushofen wurde das erste deutsche Mahnmal für die abgetrennten Gebiete enthüllt und die Kriegervereine feierten ihre Fahnenweihen. Bei solchen Anlässen konnte man dann den Schneider Sepp bei den unvermeidlichen Festzügen und Vorbeimärschen in der schmucken, silbergrauen Parade-Uniform bestaunen. Deren auffälliges Beiwerk war nicht etwa ein blitzender Helm oder eine Mütze wie bei anderen Waffengattungen, sondern der für Kolonialtruppen charakteristische Hut mit breiter Krempe, die rechtsseitig hochgeschlagen von der schwarzweißroten Kokarde um Hutkopf selbst festgehalten wurde. Kühn und verwegen nahm sich das allemal aus und war ganz dazu angetan, in so mancher jugendlicher Abenteuerbrust die Sehnsucht nach fernen Landen zu wecken.
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