Der "Plank Sepp" aus Plankstetten
 



Nach dem zeitraubenden morgendlichen Füttern, Tränken und Striegeln der vier Rosse machte sich der Plank Sepp von Plankstetten ans Anschirren. Willig schob der weißmähnige Fuchs, ein dreijähriger Wallach schweren Schlages, den Kopf durch das vorgehaltene Kummet und ließ geduldig das Zurechtrichten der Stränge und des Zaumzeuges mit den vielerlei Schnallen und Schlaufen geschehen. Obwohl nachtsüber Schnee gefallen war, entschied sich Sepp anstelle des Schlittens doch für das Gäuwagerl, denn der Schnee lag nicht hoch genug und es sah nicht danach aus, als ob es weiter schneien werde. Unser Fuhrmann vergaß auch nicht, nach dem Anzünden der Wagenlampe den eisernen Radschuh einzuhängen und am Zaumzeug den Schellenriemen anzubringen, denn die Gendarmen in Beilngries drunten waren dafür bekannt, wie die Schießhunde hinter Versäumnissen solcher Art her zu sein. Ein Bündel Heu, der Hafersack, das Gewehr und der Brotzeitrucksack waren rasch verstaut.


Der Sepp schwang sich auf den Bock, hüllte sich in die Rossdecke und mit "Hü!" gings zum Gehöft hinaus. Noch im Dorfbereich deckte der Fuchs nach Pferdeart den Tisch für die frühmorgens einschwärmenden Goldammern, für die wieselflink laufenden Haubenlerchen und für die zänkischen Spatzen. Da der Sepp dem Ross Zaum und Zügel überließ, verfiel es alsbald nach eigenem Gutdünken in einen spielerischen Trab. Im Ort schlief man zumeist noch und - wie es schien - in Schutz und Obhut der bei Tage mächtig am Hang über dem oberen Dorf thronenden Bauten des Klosters und der Abteikirche. Ein fahler Lichtschein aus deren hohen Fenstern verriet, dass die Söhne des hl. Benedikt wohl als erste längst bei Gebet und Chorgesang verweilten.
 

Das schräg einfallende Licht der blankenden, baumelnden Wagenlaterne warf die Schatten von Ross, Fuhrmann und Gefährt in riesenhaft verzerrten Schemen auf das schneeige Linnen über den Wiesen und Feldern am Straßenrand. Auf Schritt und Tritt begleitete das beinahe verwirrende Schattenspiel der kreisenden Radspeichen das einsame Gespann auf der Staatsstraße Amberg-Landshut, die auf langen Strecken vom Ludwig-Donau-Kanal begleitet wird.
 

Gerade dieser Umstand lenkte die Gedanken des Sepp auf jenen unternehmenden Ahnen, der im Ort eine Gipsmühle gegründet hatte, deren Rohmaterial man auf eigenem Lastkahn von Ipfhofen her mit Pferden treidelte. Der Zeitenwandel musste dann wohl zur Stilllegung und zur anderweitigen Nutzung der eigenen Wasserkraft aus dem Flusslauf der Sulz für die Getreide- und Sägemühle geführt haben, die nun seit Generationen als gediegener Familienbetrieb Wohlstand und Ansehen ebenso sicherten, wie die mit Viehzucht verbundene Bewirtschaftung ausgedehnter Ländereien. Das Hinfinden der Plank zur Jagd konnte wohl in dem Miteigentum an einer Teichwirtschaft, dem "Kauerlacher-Weiher", wurzeln, bildete doch dessen Bodenfläche nach altem Jagdrecht einen Eigenjagdbezirk. Wenn sich neben dem Vater - man lese und staune - nicht weniger als sechs Söhne der Jagd verschrieben, dann ist die Zupachtung von Jagdrevieren gut verständlich. Während langer Jahrzehnte waren daher die Plank gleichzeitig auch Pächter der aneinandergrenzenden Gemeindejagden von Plankstetten, Biberbach, Wallnsdorf, Oberndorf, Raitenbuch, Hebersdorf und zeitweise auch noch von Friebertshofen. Kein Wunder also, wenn - allerdings etwas übertrieben - mancher Neider meinte, die Plank hätten den halben Jagdbereich des Bezirksamtes Beilngries in Pacht.
 

Von den sechs Brüdern war zwar der Michel längst Bräu von Laaber geworden, während der Martin einen hohen Posten bei der Deutschen Reichsbahngesellschaft in Nürnberg innehatte; aber neben dem Hoferben Peter waren auch der Anton, der Sepp und der Alois im Ort sesshaft geblieben. Niemandem wäre es eingefallen, an der schon Tradition gewordenen jagdlichen Vorrangstellung der Plank zu rütteln. Wenn also von einem Imperium oder von einem Clan die Rede ist, braucht man nicht immer gleich an Rom oder Amerika zu denken; dergleichen entdeckt man auch anderswo, wenn man die Dinge nur beim richtigen Namen zu nennen versteht und dabei verzichtet, ihnen für das Weltgeschehen Bedeutung beizumessen. Im örtlichen Bereich haben sie schon ihr Gewicht.
 

Heute konnte der Peter wegen seiner Dienstgeschäfte als Bürgermeister bei der Aschbucher Treibjagd nicht zugegen sein, denn der Vorstand des Bezirksamtes Beilngries, der gestrenge Herr Oberamtmann Schneider, war zur Gemeindebesichtigung angesagt. Die Brüder Toni und Alois aber hatten das Haus bei der auch heute stattfindenden Treibjagd der Berchinger Jäger zu vertreten; bei der Häufung der Treibjagden zwischen Martini und Sylvester war das Teilnehmen manches mal schon nicht mehr die reine Freude. Bei dem Mangel an Schützen war es oft schon ein verpflichtendes Aushelfen auf Gegenseitigkeit. Derlei Erwägungen waren auch dem Plank Sepp ausschlaggebend für seine heutige, mehrstündige Anfahrt nach Aschbuch, denn in der nächsten Woche stand die große Wallnsdorfer Feldtreibjagd der Plank an und da brauchte man Schützen. Längst hatte er die Geißel in den ledernen Köcher gesteckt und Zeit und Muße gefunden, die Vorbereitungen dazu bin nach Beilngries hinunter zu überdenken.
 

Dort angekommen zahlte er als Ortsfremder beim noch ganz verschlafenen Einnehmer im Pflasterzollhäusl dicht neben der Frauenkirche für seine Einspännerfuhre tarifgemäß 15 Pfennige und ließ das Pferd im Schritt durch die Hauptstraße gehen, um das allmählich einsetzende Tun und Treiben der "Stoderer" (Städter) auch etwas beobachten zu können.
 

Nach dem Überqueren der Altmühlbrücke außerhalb von Beilngries kräuselte ihm ein steifer Wind um Nase und Ohren, so dass er dem Gaul eine schnellere Gangart befahl, um so den Talübergang mit den beiden weit auseinanderliegenden Hochwasserbrücken rascher hinter sich zu bringen. Am Fuß des Paulushofener Berges hielt er an und pfiff dem Wallach eine wohlvertraute eintönige Weise; das hat nichts zu tun mit einer Schlangenbeschwörung wie etwa im fernen Indien. Ein ausgiebiges Plätschern verriet alsbald den Zweck dieser Dressurübung.
Mann und Ross gingen sodann einträchtig nebeneinander die Steigung an; dem einen verhalfs zum Warmlaufen, dem andern zur Erleichterung der Wagenlast. In der Mitte des Berges geschah es, dass ihnen auf der bisherigen Strecke auch einmal ein Auto begegnete. Weniger die Lichtfülle der Scheinwerfer als das ungewohnte Motorengeräusch störte den Fuchs zwar etwas, dem wusste der Sepp mit einem beruhigenden Kraulen in der Mähne abzuhelfen.

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        "Die Jäger aus Paulushofen"