Aufbruch zur Treibjagd
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Nach einiger Zeit schien es beinahe, als hätte man über der allseits lebhaften Unterhaltung und fröhlichen Zecherei ganz und gar auf die Treibjagd vergessen. Doch mit einem Mal rief der Hausherr, so dass es alle vernehmen konnten: "Wirtin, bring mir meinen gestrickten Kittel zum Unterziehen, heut ist´s kalt draußen!" Er bediente sich als nicht etwa der Anrede Frau, Weib oder Resl; jeder einigermaßen aufmerksame Zuhörer konnte also aus der gebrauchten Titulierung so etwas wie die Übergabe des Hausrechts an die bessere Ehehälfte heraushören. Nachdem er sich das Signalhorn der Feuerwehr, deren Kommandant er war, in die Tasche seiner halblangen Überjacke gesteckt hatte, (das Instrument hatte heute zum An- und Abblasen der Triebe zu dienen) fand er sich denn auch sogleich in der Rolle des Jagdherrn mit der Aufforderung an sein Gefolge: "Manner trinkt´s enk zamm, nacha gehn ma´s o!" Für die Treiberjungen war es das Signal zum Sturm auf die Tür. Bei dieser Gelegenheit wurde manchem ein überzeugender Anschauungsunterricht geboten über die Notwendigkeit der stabilen Ausführung von Türstöcken in einem ländlichen Wirtshaus. Der Zuschauer mochte auch unwillkürlich an der widerspenstigen Zähmung denken; sie hat solchen Ortes zwar nicht mit Shakespeare, um so mehr aber mit viel Bier zu tun und wird deswegen hier öfter einmal notwendig, wobei erfahrungsgemäß der zu Bezähmende gerade an dieser Stelle der gastlichen Stätte der erbittertsten letzten Widerstand zu leisten pflegt. Die übrigen Treiber und Jäger, denen es, wie man in Bayern sagt, erst gar nicht pressierte, hatte es auf einmal auch so eilig, dass sie ihre Hüte, Mäntel, Rucksäcke, Gewehre, Sitzstöcke und Hunderiemen gar nicht schnell genug von dem massiven hölzernen Kleiderrechen in der Ausgangsecke herunterkriegen konnten. Bei der Ähnlichkeit all dieser Dinge im einzelnen kam es daher zu mancherlei Verwechslungen, die mit viel Hallo ausgeräumt werden musste. Ganz zu schweigen von dem Geräuf der Hunde, verursachte das ein Höllenspektakel, doch auch dieser nahm alsbald ein Ende. Einer der letzten. die aus dem breiten, eichenen Wirtshausportal traten, war der Brand Hans von Beilngries. Er nahm die behäbige Wirtin mit auf die Seite, um ihr unter vier Augen aufzutragen, die für den Abend bestellte Ente ja recht knusprig braun zu braten und den Kartoffelsalat dazu gut feucht anzurichten. "Haben wir´s noch alle Jahre richtig gemacht, dann werden wir´s auch heuer wieder hinkriegen, Herr Brand, da fehlt sich nix2, versicherte die Wirtin, "und ein paar Bauerseufzer davor darf ich doch auch wieder für Sie ins Kraut einlegen?" fuhr sie fort, obwohl sie sich bei dem immerhin schon ein paar Jahre alten Herkommen der Überflüssigkeit einer solchen Frage bewusst war. "Dieser Magentratzer versteht sich von selbst, Wirtin", entgegnete denn auch der gottgesegnete Genießer; er gab damit zu erkennen, dass es sich nach örtlichem Sprachgebrauch und in seinen Augen also nur um eine appetitanregende Kleinigkeit handle und trachtete, den anderen nachzukommen. Am Schluss der "Blase", wie der Voggenreiter die Jagdgesellschaft nannte, marschierte dieser wie immer in strammer Haltung und mit militärischem Schritt mit einigen anderen. "Schaut nur hin, wie der Wirt heute wieder einmal seine krummen Schwolischehaxn hinsetzt, wie der Rittmeister zu Fuß", belustigte er sich und die anderen, "passt auf, wie´s den jetzt reißt!" Dann machte er sich den Spaß und schmetterte mit seiner durchdringenden Sergeantenstimme das Reiterkommando: "Eskadron - (hier setzte er gekonnt die eingedrillte Pause zwischen Ankündigungs- und Ausführungskommando) aufgesessen!" Fast der ganze Haufen geriet ins Stolpern, weil der Wirt an der Spitze mitmachte und beim "Eskadron" wie angewurzelt in Habachtstellung stehen geblieben war. Alles lachte, nur der Herr Oberlehrer Benle gab seiner Meinung kund über das ewige Soldatenspielen, ohne das es einfach nicht zu gehen schien. "Die Katze lässt das Mausen nicht", kommentierte er, wobei im Tonfall ein leises Missvergnügen mitzuschwingen schien. Noch bevor die Wirtin der Dirn zum Mithelfen beim Aufräumen rief, verweilte sie einen Augenblick vor einem der niedrigen, ins tiefe Mauerwerk eingelassenen Fenster. Als untrügliches Zeichen für das beträchtliche Alter des Hauses war das saubergefegte, rohe Fensterbrett geprägt von den feinen, wie mit dem Kamm gezogenen, ausgelaugten Rillen zwischen den erhaben gewordenen Jahresringen alten Holzes. Darauf drängten sich Blumentöpfe mit gleißiger Liesl, zwischen deren winterblassen, durchscheinenden Stenglein und Blättern noch einige Blüten verloren leuchteten. Durch dieses Gerank schaute die Hausherrin, die schaffensbereiten Hände noch in die Hüften gestützt, dem Haufen von Jägern, Treiber und freilaufenden Hunden nach, der sich die verschneite Dorfstraße hinab entfernte. Sie bemerkte dabei nicht, dass sich der buntscheckige Hauskater durch irgendeinen offenen Türspalt eingefunden hatte und sich schnurrend um ihre Füße schmiegte. Da er sich unbeachtet fühlte, nahm er den Weg zur Ofenbank, rollte sich just auf dem Platz, den vorher der Korl von Irfersdorf eingenommen hatte, zu einer Scheibe zusammen und begann zu schlafen. Vielleicht träumte er schon bald von einem riesigen Napf voll süßer Milch, von aufregenden Mäusejagden und vielleicht auch von Liebesabenteuern, wie sie der Februar - früher Hornung genannt - alljährlich dem Katzenvolk, begleitet von artgemäß schaurigen Melodien beschert. Doch was weiß der Mensch schon von der Traum- und Gedankenwelt eines Dorfkaters? Man ist da ganz auf Vermutungen angewiesen, die einen allerdings dazu verführen könnten, Vergleiche mit dem Menschen anzustellen. Gerade wegen seiner Erhabenheit über alle anderen Geschöpfe soll man aber nach einer landläufigen Redensart Mensch und Tier nicht miteinander vergleichen.
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