Die Treiber

 

 


 

Nicht ganz so einvernehmlich ging es an den Tischen der Treiber zu, die sich auch nach und nach einfanden. Die quicklebendigen, zipfelbemützten Dorfbuben unter ihnen fingen nämlich an, ihren Meinungsstreit über die Qualität ihrer Treiberstecken handgreiflich gegeneinander auszutragen. Wiederholt musst der Wirt schlichtend  eingreifen, zumal auch einige herausgefunden hatten, dass sich die Untersetzer für die Seidel- und Maßkrüge aus fingerdickem Filz - sie waren in dem Ständer am Schanktisch reichlich gestapelt - recht gut zum Werfen auf den Gegner eigneten. Eines der Wurfgeschoße verirrte sich gar in den Herrgottswinkel, wo unter dem Kruzifix zwischen bunten Papierrosen Photographien von Familienfeiern, Porträts von Verstorbenen und Gefallenen hingen und auch ein Reservisten-Gruppenbild Kunde gab, dass der Wirt von 1910 bis 1913 seine aktive Militärzeit bei der 4. Eskadron des Königlich-Bayerischen Chevauleger-Regiments "Taxis" in Regensburg abgeleistet hat. Der Wahrheit wegen muss gesagt werden, dass die Sorge des Herbergsvaters weniger den Bubenköpfen galt als vielmehr den Lampenschirmen aus Milchglas. Umgestülpten Tellern gleich hingen sie am nüchternen, armlangen Gestänge von der Decke herab als neuzeitliche Errungenschaft der Aktion "Elektrifizierung des flachen Landes". Ihr kaltes Weiß beeinträchtigte fast ein wenig die warme Behaglichkeit des Raumes mit der fichtenen Wandverkleidung und den Wandbänken rundum, mit den Tischen und dem bäuerlichen Gestühl aus Eiche auf den blankgescheuerten, von braunen Ästen belebten Bodendielen. Gerade diese Äste waren es, die einer Handvoll Halbwüchsiger unter den Treiber als Resonanzboden geeignet erschienen für das Trampeln und Stoßen der Takte verschiedener "Zwiefacher" mit Stiefeln und Stöcken.

Führt den Kenner dieser "Bayerischen" mit ihrem häufigen Wechsel ungleichteiliger Takte war es abzusehen, dass dieses durcheinander gestartete, theoretische Debüt der dörflichen Tanz-Eleven nie harmonisch hätte enden können. Doch die entwaffnende und beruhigende Wirkung des Dazwischentretens eines allseits anerkannten Experten konnte man auch hier miterleben, denn der nahebei sitzende Mitzam Lenz von Kirchanhausen nahm der allenthalben aufflackernden Rechthaberei und Kampfeslust noch rechtzeitig die Zugluft weg mit dem Versprechen, dem Tänzernachwuchs am Abend alle Zwiefachen aufzuspielen, sei es nun "s´ Eisenkeilnest", "Der Schaufelstiefel", Der Huschdada", "Die sieben Dörfer" und "Sprint der Hirsch über´n Grab´n. Der Lenz war nämlich nicht nur Jäger sondern als Meister im Spielen der böhmischen Knopf-Ziehharmonika mit den gewaltigen Bässen auch ein begehrter Dorfmusikant. "Jawohl Lenz, so machen wir´s!" lobte der Treffer Schorsch und war heilfroh über den vermiedenen Streit; er müsste nicht Dorfwirt gewesen sein, um zu wissen, dass man auch den Alten in die Augen greift, wenn man - mag das noch so berechtigt sein - den Jungen zu nahe tritt.

Einige Male betrat auch die eine oder andere Jungbäuerin die Wirtsstube, die eine, um etwa ihrem Sprössling unter den Treiberbuben die vergessenen Fäustlinge oder einen Apfel nachzutragen, die andere, um den ihrigen der besonderen Obhut eines erwachsenen Treibers anzuvertrauen.

Dabei konnten sie eine gewisse Befangenheit nicht verbergen, denn in der Tat wirkte ein sogar schlichter Weiberrock wie ein Fremdkörper in diesem, der Männerwelt vorbehaltenen Refugium.

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Aufbruch zur Treibjagd