Der "Jungjäger" und angehende Stadtsekretär von Beilngries


Der Brand Hans von Beilngries hatte auf dem Sozius des Motorrads seinen etwa gleichaltrigen Freund mitgebracht, dem man es auf Anhieb ansah, dass er der grünste unter den hier versammelten Grünen war. Seinem ganzen Gehabe nach schien er zu den Leuten zu zählen, in deren Schulzeugnis es bei der üblichen "Allgemeinen Beurteilung" etwa hätte heißen können, seine Anlagen rechtfertigen bei entsprechendem Fleiß und Ausdauer die Erwartung ganz guter Leistungen. Das liest sich so leichthin, für manchen aber, den es angeht, auch einschläfernd, so dass er des Schwergewichts der Worte Fleiß und Ausdauer nicht mehr achtet. Ich glaube nicht, dass dieser jagdliche Grünschnabel beabsichtigt haben könnte, seine Schulkenntnisse in Latein bei solchen Gelegenheiten nachträglich noch zu verbessern; denn das von Jägern gebrauchte Idiom ist nur dem Namen nach mit der Sprache der alten Römer verwandt. Jägerlatein ist bekanntlich leichter zu erlernen und zwar ohne Professoren und ohne Grammatik. Die Kunst besteht zumeist darin, seine Kenntnisse glaubwürdig an den Mann zu bringen. Alle Anzeichen deuteten darauf hin, dass auch er es im Laufe der Zeit in dieser Wissenschaft wenigstens bis zur mittleren Reife bringen wird. Die gleichen Erwartungen konnte man auf sein Erlernen der Waidmannssprache setzen, deren man sich in diesem Kreise zwar befleißigte, ohne sie aber zum Credo zu machen.

Als sein berufliches Fernziel hatte der junge Mann die Stelle des Stadtsekretärs von Beilngries ins Auge gefasst. Sein Tischnachbar war augenblicklich der Schneider-Bauer, der sich wie viele Aschbucher die Gelegenheit nicht hatte entgehen lassen, heute als Treiber dabei zu sein. Der unterbrach nun mit einem Mal ihr heiteres Zwiegespräch und verwies mit dem Kopf zum Fenster:" "Da schau naus", stellte er fest, "da steht dem Batz von Beilngries seine Benzinkutschn!" Dann las er das Nummernschild laut ab: "II E - 1226", und fuhr etwas hintergründig fort, "ich möcht nur einmal erfahren, was das für eine komische Nummeriererei ist. Das müsstest doch eigentlich du wissen". Dem Manne kann geholfen werden", entgegnete scherzhaft der Gefragte und ging sogleich daran, das Menetekel zu entziffern. "Paß´ auf: "Die römische Ziffer II steht für das Land Bayern und der Buchstabe E für den Kreis der Oberpfalz. Dieser ist eingeteilt in 19 Bezirksämter, deren jedes als Zulassungsstelle für Kraftfahrzeuge eine zweistellige Kenn-Nummer hat. Unser Bezirksamt Beilngries hat die Nummer 12. Die Zahl 1226 darf also nicht zusammenhängend gelesen werden. Die Endzahl 26 bezeichnet den Fahrzeughalter und lässt in etwa auch den Schluss auf die Anzahl der insgesamt zugelassenen Kraftfahrzeuge zu. Hast mich jetzt oder sind wir noch nicht beisammen?"

"Ich hab´s schon kapiert", antwortete der Schneider-Bauer und lachend fügte er selbstironisch hinzu: "Wenn ich auch dumm bin, aber so gescheit wie neun Dumme zusammen bin ich schon". Belustigt über diese Art von Mengenlehre lachten beide hellauf. Der Schneider-Bauer verschwieg aber wohlweislich seine ursprüngliche Absicht, bei dieser Gelegenheit den seiner Meinung nach immer etwas großspurigen Beilngrieser eine zu verpassen. Er war nämlich insgeheim der Meinung gewesen, mit der Zahl solle die Anzahl der zugelassenen Fahrzeuge ausgedrückt sein, wo doch jedes Kind wusste, dass in der ganzen Gegend höchstens deren zwanzig oder dreißig liefen. Die Enttäuschung, mit diesem Trumpf nicht stechen zu können, bedrückte ihn aber nicht allzu lange, denn bei seiner Schlitzohrigkeit fiel es ihm nicht schwer, den Beilngrieser "Zwiebeltretern" (wie man sie mit ihrem Spitznamen von alters her hänselte) bei anderer Gelegenheit eins anzuhängen.

#Wegen der Unverträglichkeit der Hunde hatte sich unser Jungjäger mit seinem angeleinten Feldmann von vorneherein etwas abgesondert mit dem Schneider-Bauern zusammengesetzt. Gleichwohl fand es dieser angebracht, ihre Unterhaltung nun etwas leiser fortzusetzen. "Jetzt etwas anderes: heiratest du etwa schon bald?" fragte er und kniff dabei spitzbübisch das eine Auge zu. "Wie kommst den jetzt da drauf?" "Na weil ich kürzlich bei meiner Einkehr im Deutschen Hof (Beilngrieser Gaststätte) drunten halt a bißl was läuten gehört hab. Und hoch hast g´griffen bei deiner Wahl, das muss ich schon sagen", meinte er anerkennend. "So schnell geht das auch wieder nicht, denn der zukünftige Herr Schwiegervater ist halt gar nicht recht einverstanden. Als Geschäftsmann will er seine Tochter auch wieder in ein Geschäft eingeheiratet sehen, was weiter nicht verwunderlich ist, denn die ganze Sippe lässt seit Generationen nur Handel und Gewerbe als erstrebenswerte Lebensgrundlage gelten.  Aber die Schwiegermutter ist auf meiner Seite". "Da fehlt dir ja nix mehr, drei gegen einen! Die Weiber bringen alles fertig, aber unberechenbar sind sie auch. Das sag ich dir schon heute: Geheiratet ist nicht gleich mit dem Kappentauschen, schau nur da "nauf!" schloss der Schneider-Bauer lachend und verwies mit dem Kopf nach oben. Denn über der Wandverkleidung hing unter Glas und Rahmen ein farbiger Kunstdruck mit dem Bild eines verliebten, händchenhaltenden Paares und mit der Umschrift: "Ein liebes Weib, ein trauter Herd, ist alles was mein Herz begehrt". Gleich daneben aber hing das Gegenstück, es zeigte den gleichen Mann, der schwer an der Last eines Kreuzes trägt, auf dem noch dazu sein pantoffelschwingendes Weib sitzt. Und hier lautete der Text: "Das Kreuz allein wär nicht so schwer, wenn nur das böse Weib nicht wär."

Der Junge ließ sich aber dadurch das Pferd nicht scheu machen, indem er lachend meinte: "Bei allen ist es doch nicht so". Dann aber konnte ein aufmerksamer Zuhörer herausfinden, dass der Heiratskandidat vom Thema ablenken wollte. "Meine Bedenken liegen in ganz anderer Richtung", fuhr er fort, "du musst nämlich wissen, dass meine Geburt beim Standesamt unter der Nummer 99 beurkundet ist. Und das verfolgt mich in allen Dingen. Ich bringe es zwar zu ganz annehmbaren Erfolgen, sei es bei Prüfungen, beim Sport, beim Schießen oder was immer es sein mag, aber die Spitze erreiche ich nie. Meine Mutter hat mir oft von einem armen Teufel erzählt, der von sich selber sagte, er sei zu 99 Pfennigen geborgen, könne es aber nie zu einer Mark bringen. So ähnlich ergeht es mir auch".

Der Schneider-Bauer, der als Mann mit beiden Beinen im Leben stand, brachte aber weinig Verständnis auf für derartige Anwandlungen seines Gegenüber, denn er hatte sogleich erkannt, wo da der Hase im Pfeffer lag. Aus vollem Halse lachend schnitt er seinem Tischnachbarn die Rede ab: "Hör mir fei mit solchem Krampf auf, du spinnada Teifi, du spinnada! Wenn oana seiner Po´tur nach bloß einen Zentnersack daheben kann, dann muss er halt einen mit anderthalb Zentnern liegen lassen."

Das war ohne Zweifel ein offenes Wort zwischen zwei guten Bekannten. Man könnte aber auch ebenso gut von einer honorarfreien seelenärztlichen Betreuung mit Diagnose und Therapie sprechen. Bleibt also nur zu hoffen, dass auch die Wirkung nicht ausgeblieben ist.

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"Die Treiber"